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Eine Weihnachtsgeschichte - Maultier in der Nebenrolle   

 
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Susanne
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Anmeldungsdatum: 20.10.2005
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BeitragVerfasst am: 24.12.2005, 10:49    Titel:   Antworten mit Zitat

Josef

Ich laufe neben meiner Frau nach Bethlehem. Sie sitzt auf einem Maultier, weil sie schwanger ist. Sie hat mich betrogen.
"Vertraust du mir?" fragt Maria.
"Ja", lüge ich.
Und sie weiß, daß es eine Lüge ist. Ich sehe ihre Kiefer arbeiten; sie beißt einen Schmerz hinunter. Sie schweigt. Sie weiß, daß Vertrauen nicht wiederherzustellen ist mit nackten Worten.
Einem Traum zu glauben! Was träume ich für Unsinn! Einmal haben mir Ziegen das Zimmermannswerkzeug weggefressen. Einmal stürzte ich vom Berg Tabor. Nichts davon ist eingetroffen. Je weiter die Nacht in der Vergangenheit liegt, desto weniger glaube ich, daß ich tatsächlich im Traum einen Engel gesehen habe. Was war ich erleichtert damals. Was war ich aufgeregt, weil ich glaubte, daß etwas Außergewöhnliches geschehen würde, daß womöglich der Messias, der Retter, kommen würde. Ein Ausweg war es, der mir gut paßte, nichts weiter.
Maria hat mich betrogen.
Es genügt, sie anzusehen. Wie Stiche mit der Ahle quälen die Gedanken: Wo hat sie ihn kennengelernt? War es ein Jüngerer, einer in ihrem Alter? Mich, den alten Witwer, hatte sie sicher, ich war nicht begehrenswert für sie. Daß ich glauben konnte, sie würde Liebe für mich empfinden!
Ich bin zu schwach, um sie fortzuschicken. Sie hat mich erbarmungslos im Griff: Der Duft, die weichen Wimpern, das Gesicht. Ein Wort von ihren Lippen, und ich gehorche. Noch immer liebe ich sie.
Es geht hier steil herunter, ich sollte das Maultier beim Strick führen. Angenehm, der warme Atem, den es mir auf die Hand bläst. "Schalom." Fortlaufend drängen sich Wanderer vorüber. Die halbe Welt will nach Bethlehem. "Schalom."
Kräftiger Wind, meine Güte. Der Herbst ist bald vorbei. Naß und kalt ist es, eine tolle Zeit um zu reisen. Wird es schon dunkel? Dort hinten habe ich doch vorhin noch weit über das Hügelland von Judäa sehen können, und jetzt liegen schwarze Schleier auf dem Horizont, er rückt näher, als wollten die Berge uns zerquetschen.
Kleine Fetzen von Schafwolle treiben über die Felsfläche. In den Büschen hängen sie und zappeln im Wind. Sind das Hirten da hinten? Sie bleiben zu dieser Jahreszeit noch über Nacht in den Hügeln? Die Armen, sie werden frieren. Hirte möchte ich nicht sein. Das ist das Letzte.
Allerdings: Wenn ich mich an ein Schaf schmiegen würde, wäre mir nicht so kalt. Der Wind gibt mir den Rest.
Als ich das letztemal in Bethlehem war für eine Volkszählung, hat Vater noch gelebt. Damals bin ich aus Neugier mitgegangen. War gut so. Sicher wird es ähnlich ablaufen morgen mit dem Eintragen in die Steuerliste, und ich weiß nun schon, was mich erwartet. Vollständiger Name? wird der Schreiber fragen. Bisherige Steuerklassenzugehörigkeit? Herkunftsort? Name des Vaters oder Freilassers? Alter? Steuerpflichtiges Vermögen?
Natürlich, Herodes hofft, mit den neuen Listen mehr Steuern aus dem Volk pressen zu können. Geld für seine gotteslästerlichen Bauvorhaben. Er will ein Jude sein? Daß ich nicht lache. Griechischen Prunk treibt er, baut Theater mit ihrem Säulenwerk, selbst in Jerusalem. Eine Schande, ein Frevel, Spiele in Jerusalem, Bühnenstücke! Wir wissen doch, wohin das führt. Wir sehen es bei den Römern.
Für einen Tag Römer zu sein wäre gar nicht schlecht. Es heißt, als Römer genügt es, sich in der Stadt zu melden, in der man wohnt. Aber unser guter König Herodes hat entschieden, daß es für die Provinz Judäa das beste ist, wenn die Listen nach den Stammvätern geführt werden. Wir dürfen in die Stadt unseres Vorfahren zurückwandern. Das ganze Volk auf den Beinen, weil der Kaiser es will und der König im Auftrag des Kaisers mit dem kleinen Finger winkt.
"Josef?"
Ich sehe auf zu ihr.
"Dir hat der Engel auch gesagt, wir sollen ihn Jeschua nennen, richtig?"
"Zumindest habe ich das geträumt, ja." Noch ein Grund dafür, am Traum zu zweifeln. Warum sollte Gott dem Messias einen Allerweltsnamen geben? In jeder Straße Nazareths heißen wenigstens drei Jungen Jeschua.
"Es bedeutet: Gott ist Rettung."
"Weiß ich."
"Was muß geschehen, damit du wieder glaubst?" Sie spricht sehr leise.
Bethlehem kommt in Sicht. Vielleicht erspart mir das die Antwort. Am Hügelhang kleben Hunderte von Häusern. "Siehst du die vielen Lichter? Die Stadt ist voll von Besuchern."
"Was muß geschehen, Josef?"
Sie ist hartnäckig. Was sage ich ihr? Ich halte das Maultier an. Eigentlich will ich sie anschauen, aber mein Blick hängt am Boden fest. "Es tut weh. Ich möchte dieses Kind nicht, weil es mich an deine Untreue erinnert."
"Aber du hast dich gefreut, als dir der Engel im Traum erschienen ist. Es gab Tage, da hast du dich mit mir auf unser Kind gefreut."
Sie sagt: unser Kind. Als wären wir eine gewöhnliche Familie und Maria eine gewöhnliche, schwangere Frau, und ich ein Vater, der sich auf den fünften Sohn freuen darf.
"Auf den Retter", fügt sie hinzu. "Glaubst du es nicht mehr?"
Ich schüttele den Kopf.
"Du glaubst, daß ich dich betrogen habe? Josef? Du denkst, ich hätte mich einem anderen Mann an den Hals geworfen?"
Was soll ich sagen? Ja, das glaube ich. Ich schweige.
"Weißt du nicht, daß ich allein dich liebe und niemanden sonst? Warum wirfst du alles fort?" Ihre Stimme klingt nach Tränen.
Mein Mißtrauen verletzt sie. Ich bereite ihre Schmerzen, weil ich schlecht von ihr denke. Die Hand krampft sich um den Maultierstrick. Ich will sie umarmen, will sie trösten und mich entschuldigen. Ich liebe dich, Maria! will ich sagen. Und doch ziehe ich nur das Maultier weiter.
In den schmalen, verwinkelten Gassen Bethlehems heult der Wind. Ich klopfe an Türen und bitte um Obdach. Zu Anfang wähle ich noch die besseren Häuser aus, dann klopfe ich auch an Türen, die in Höhlen in der felsigen Hügelwand führen. Maria krümmt sich auf dem Maultierrücken. Sie ächzt. "Die Wehen", flüstert sie.
Mir reicht es. Ich klopfe, dann schiebe ich den Fuß in den Türspalt. "Sie ist schwanger. Wir brauchen einen Platz, wo sie das Kind zur Welt bringen kann."
"Bedaure. Selbst mein eigenes Bett habe ich schon vermietet."
Die Tür prallt gegen meinen Fuß. Ich stöhne, aber ich ziehe ihn nicht zurück. "Dann wirf den Gast wieder hinaus! Das Kind wird die Nacht in dieser Kälte nicht überleben, der Gast schon."
Er sieht mir an, daß ich es ernst meine und beim besten Willen nicht zu vertreiben bin. "Wenn ihr in den Stall gehen wollt, es ist Stroh dort, und die Tiere wärmen euch."
"Schnell", sage ich.
Er öffnet uns die Pforte zu einer Höhle. Es ist stickig und warm darin. Und dunkel. Ich fühle Schafleiber, schiebe sie auseinander, um Platz zu machen. Maria stützt sich schwer auf meine Schulter. Ich umfasse sie und lasse sie herunter auf das Stroh. "Du schaffst das, Maria, ich weiß, daß du es schaffen wirst."
Bald beginnt sie zu keuchen. Ich nehme ihre Hand. Sie drückt zu, als wollte sie mir die Knochen brechen. Ich kann nichts sehen, höre nur ihre Atemstöße.
"Ich liebe dich, Maria. Halte durch."
Die Schafe werden unruhig und blöken.
Dann löst sich ihre Hand. Sie will etwas sagen, zischt Worte, die ich nicht verstehe. Sie schiebt mich fort, zu ihren Füßen. Ich taste, fühle einen Kopf. Und dann halte ich das Neugeborene in den Händen: Naß, warm. Maria wimmert leise. Ich reiche ihr den Säugling. Mit beiden Händen umgreife ich meinen Mantelsaum und zerreiße ihn. Ich trenne Stoffstreifen heraus und gebe sie Maria: "Hier, wickele ihn darin ein."
Wir liegen im Stroh und flüstern. Ich sage: "Ich werde dir zeigen, wie man ein Haus baut, Jeschua."
Maria wispert: "Ich werde dich beschützen und dich lehren, zu sprechen."
"Ich lasse dich auf meinen Knien reiten, bald schon, kleiner Jeschua", verspreche ich.
"Du bist der Messias", sagt sie. "Du wirst die Schuld vernichten, diese Bürde, die uns zu Boden drückt. Du versöhnst uns mit Gott."
Ich richte mich auf. "Schluß damit, Maria! Ich will dir verzeihen, aber du mußt zu deinem Fehler stehen. Ich ertrage das einfach nicht mehr, diese Engelgeschichte."
"Was ist aus dir geworden, Josef? Du bist völlig zerfressen von Eifersucht! Wenn du mir schon nicht glaubst, dann glaube wenigstens dem Boten, den Gott zu dir gesandt hat. Oder ist dein Vertrauen zu Gott genauso zerstört wie dein Vertrauen zu mir?"
"Offensichtlich", zische ich. "Bei so kleinem Glauben wie meinem reicht ein Engel nicht. Gott muß noch einen schicken. Ich bin halsstarrig, verstehst du, kleingläubig, halsstarrig, beinahe ein Ungläubiger."
Stimmen nähern sich. Ich höre unseren Gastgeber sagen: "Dort, die kleine Pforte. Ob es schon zur Welt gekommen ist, weiß ich nicht."
"Was wollen die von uns?" flüstert Maria.
Ich lausche auf die Stimmen. "Lege Jeschua in die Futterkrippe dort und decke ihn mit Stroh zu."
Männer betreten den Stall.
Ich stelle mich ihnen in den Weg. "Wer seid ihr?"
"Wo ist das Kind? Wir haben unsere Schafe auf dem Feld allein gelassen, um es zu sehen. Der Messias! Welche Freude! Christus ist da, der, der die ganze Menschheit retten wird."
"Hier, in der Krippe." Maria schiebt das Stroh auseinander.
Diese Frau! "Maria", knurre ich. Ich lasse die Hirten nicht an mir vorbei. "Was läßt euch glauben, daß dieses Neugeborene der Messias ist?"
"Das haben die Engel uns gesagt. Große, leuchtende Gestalten, wir haben uns schrecklich gefürchtet vor ihnen."
Mir stockt der Atem. Ich weiß, was sie meinen. Im Traum war ich ebenfalls vor Angst erstarrt.
"Warum sagt ihr: Die Engel? War es nicht einer?"
"Nein. Es waren Tausende."
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