Johnjohn Erfahrener Benutzer
Geschlecht: Anmeldungsdatum: 28.07.2009 Beiträge: 311
Wohnort: Regensburg Entfernung: 0 km
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Verfasst am: 16.05.2010, 09:45 Titel: Leitstute |
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Aufgrund meines letzten Berichts in Johnjohns Tagebuch bin ich gebeten worden dieses Thema hier aufzugreifen.
Ich bin wirklich keine Pferdeexpertin, ich habe nur in vielen Jahren ein paar Beobachtungen gemacht, aber ich kann ja mal versuchen dies wiederzugeben.
Wir haben in unseren Ställen kleinere oder größere Pferdegruppen laufen, gemischte Gruppen und Stutenherden. Wir sprechen immer mal wieder von der Leitstute, aber in den allermeisten Fällen ist es das ranghöchste Tier.
Sie hat das erste Recht beim fressen und ist die Chefin. Kommt eine stärkere Stute in die Gruppe (hat nichts mit Körperstärke zu tun) dann gibt es Rangeleien und Zoff und wenn die andere wirklich stärker ist, wird sie ab dann Chefin.
Die Fähigkeit echte Leitstute zu sein, wird nach meinen Beobachtungen angeboren aber ich denke das reicht nicht aus. Im Laufe ihres Lebens lernt die Stute unter einer anderen erfahrenen Leitstute bis zu der Fähigkeit auch die nötige Erfahrung kommt.
Ich habe es in Island beobachtet, wo Pferdegruppen noch über weite Strecken frei laufen können und auch echten Gefahren ausgesetzt sind. Gletscherspalten und Naturereignisse, wie ein Schneesturm in den Bergen.
Eine Leitstute kennt die Wege und die besten Futterplätze und sie kann die Anzeichen für heraufziehende Gefahren deuten. Sie bleibt in Gefahrsituationen ruhig und führt ihre Herde nach Möglichkeit da raus.
Nun war ich nicht so lange in Island, aber ich hatte eine Freundin die etwas über 100 Isländer ihr eigen nannte und züchtete.
Eine den Menschen gegenüber halbwilde Stute war in der Jungstutenherde (20 - 30 Tiere) Leitstute.
Meine Freundin ist mit ihrem Mann für eine Woche nach Italien in Urlaub gefahren und ich habe auf den Hof geschaut, mit dem Handicap einer gebrochenen Hand, aber für körperliche Tätigkeiten gab es einen Angestellten.
Wir sind damals weit abliegende Weiden etwa alle 2 Tage abgefahren um nach dem Rechten zu sehen. Die Jungstuten waren auf einem großen Areal, das sich über zwei Hügel mit kleinem Tal und angrenzendem Wäldchen zog. Es war genug Futter dass sie von Frühjahr bis Herbst da leben konnten ohne Zufütterung und ohne dass umgesetzt werden musste.
Nun hatte ich plötzlich eine Meldung der Polizei auf dem Tisch liegen dass Pferde frei rumliefen, ohne nähere Bezeichnung wo und wie viele. Nach einigen Nachforschungen war klar es sind die Jungstuten, bei denen es sonst nie Probleme gab.
Auf einem angrenzenden Grundstück wurde ein Haus gebaut und die hatten dort den Zaun zerstört, der damit auf ganzer Länge keinen Strom mehr hatte.
Als ich hinkam waren alle Pferde weg, das Wäldchen jenseits des Zauns voller Spuren aber nirgendwo Pferde zu sehen.
Damals war es noch Zonenrandgebiet und eine einsame Gegend. In dem Weiler hab ich nachgefragt und hörte gestern früh waren die Pferde da, gestern abend dort und ich habe sie hier gesehen.
Nach längerer Suche fanden wir sie, leider gelang es mir nicht an die Leitstute heran zu kommen, denn wie gesagt sie war den Menschen gegenüber wild. Hätte ich sie gehabt, wäre die ganze Herde ihr gefolgt, egal was passiert. So hab ich nur 2,3 andere eingefangen, aufgehalftert, an den Jeep gebunden und den Fahrer gebeten ganz langsam in richtung Weide zu fahren.
Die Herde lief mit und ich bin langsam treibend hinterher gegangen. Leider mussten wir durch ein kleines Dorf und für die Leute dort war es ein Schauspiel, sie kamen aus ihren Häusern. In einer Situation reichte es dann der Leitstute, die Fremden kamen zu dicht an ihre Herde ran, sie drehte ab und galoppierte mit allen im Gefolge davon.
Ich hab nochmal einen Versuch gemacht, aber wieder nur 2 zahmere eingefangen und musste meine Freundin aus Italien kommen lassen um die Bande wieder einzufangen.
Bis sie da war und auch das letzte Pferd gefangen, vergingen ein paar Tage und was in den Tagen geschah war sehr faszinierend, vor allem zum Thema Leitstute.
Wir haben nachher rekonstruiert, dass die Pferde Luftlinie zum Heimathof unterwegs waren, eine Strecke die sie gar nicht kannten, sie waren immer nur im Hänger zu der entlegenen Weide transportiert worden.
Überall gab es Klee und Luzernefelder, aber die Pferde haben immer nur die "kargeren" Ränder abgegrast oder standen auf normalen Wiesen. Ein Bauer hatte beobachtet dass ein paar kleinere in sein Kleefeld sind (Isländer werden spät eingeritten die Herde bestand aus Jährlingen bis 5 jährigen, die Leitstute war damals 6 oder 7 und erst einen Winter aus Island weg). Ein großes graues Tier kam und trieb sie wieder raus, worüber er natürlich froh war.
Die Herde hielt sich 2 Nächte an einer Schnellstraße auf, die ihren Weg kreuzte, in der dritten Nacht haben sie die Straße dann überquert und sind weiter gezogen gen Heimat.
Wir haben angenommen, dass die Leitstute bis dahin den Verkehr genau beobachtet hat und sich dann die ruhigste Zeit zum überqueren ausgesucht hat.
Kein Tier war verletzt oder hatte etwas falsches gefressen. Wenn man sie gelassen hätte, hätten sie wahrscheinlich eines Tages von alleine daheim vor der Tür gestanden.
Es war einfach nur faszinierend.
Aber auch unter den Quartern hatte ich das Glück eine echte Leitstute zu erleben, ich habe sie besonders geliebt, eine wunderschöne schwarze Stute aus Amerika, knapp 20 Jahre alt, die Mutter meines absoluten Traumpferdes.
Hier habe ich auch gesehen, dass die Leitstute nicht unbedingt die stärkste Stute in der Herde sein muss, als ein gleichstarkes Tier hinzukam, haben sie so eine Art "Lady agreement" geschlossen, nur in Stresssituationen wurde klar wer das sagen hatte.
Wenn wir im Frühjahr angeweidet haben, hat uns Diamond ein paar Mal überrascht, weil sie ihre Herde schon runtergeführt hatte und vor dem Aufgang stand und niemanden mehr hoch ließ.
Einmal im Sommer verhinderte sie dass die Herde auf die obere Weide am Waldrand getrieben wurde, wie wir es wollten, nach einigem suchen entdeckten wir dort aggressive Bienen. Das Größte in allem ist jedoch die Souveränität die so eine Leitstute ausstrahlt, selbst in Stresssituationen.
Eine Russenstute ist durch den angrenzenden Zaun und hat Diamond in einem unbewachten Moment ihr Fohlen geklaut, meine geliebte Lina.
Wir habe es aus ziemlicher Entfernung gesehen, wie die Stute das Fohlen wegtrieb und hatten Angst vor dem Kampf und daraus folgender Verletzung des Fohlens, das mit seiner besonderen Abstammung und Veranlagung der ganze Stolz von uns allen war.
Aber Diamond hat nicht gekämpft, sie blieb eigentlich völlig ruhig, trieb beide von der Herde weg und noch bevor wir dazu gerannt waren, hatte sie ihre Tochter wieder an ihrer Seite und ich glaube die etwas verblüffte Russin wusste genauso wenig wie wir, wie das jetzt gegangen war.
Diamond war auch unsere Vorkosterin wenn es darum ging Heu zu kaufen. Wir haben immer erstmal Probeballen genommen ud die dann vorgelegt, mehrere Proben von mehreren Bauern und nicht nur einmal hat Diamond anders entschieden als wir es hätten, nicht das Heu das so toll aussah, sondern ein ganz anderes mit Begeisterung gefressen.
Sie hat den besten Junghund aus der Zucht mit einem kurzen Schlag getötet obwohl sie sonst friedlich mit Hunden lebte, aber die Hündin war an der Elektozaun gekommen und schreiend auf die Weide gerast, Diamond hatte ein frisches Fohlen bei Fuß und bevor man überhaupt reagieren konnte war alls vorbei. Ein einziger gezielter Schlag.
Lina hat die Veranlagung zur Leitstute übrigens geerbt. Sie war 1,5 und lief in einer Gruppe gleichaltriger Stuten, als es ihr älterer Bruder schaffte irgendwie auszubrechen und in ihren Auslauf zu kommen.
Lina trieb ihre Gruppe ins Eck, wie es ihre Mutter getan hätte, stellte sich davor und ihrem erstaunten Bruder flogen so ihre Hufe um die Ohren dass er schleunigst auf Abstand ging.
Lina erlaubte den anderen erst wieder aus der Ecke raus zu gehen als er weg war.
Ich musste sie aus gesundheitlichen Gründen hergeben als sie 4 war, eine der schwersten Entscheidungen vor denen ich je stand.
Da wo sie jetzt ist, wird sie verhätschelt und in Watte gepackt, sie ist die Königin schlechthin, aber auch sie ist meiner Meinung nach keine echte Leitstute. Sie sorgt zwar für Ruhe wenn es Stress in der Gruppe gibt und es gibt immer mal wieder Momente in denen man merkt dass sie die Veranlagung geerbt hat, aber ihr fehlt die Erfahrung und die große Ruhe und Souveränität ihrer Mutter.
Sie korrigiert schlecht sozialisiert Pferde ohne dass es Verletzungen gibt, was Diamond auch hervorragend konnte. Als Erzieherinnen sind solche Pferde perfekt.
Ich werde nie vergessen, wie Diamond, ungelogen in Zeitlupe ihr Hinterbein in Richtung eines vorwitzigen Fohlens ausfuhr, den Kopf drehte um zu schauen und erst die letzten Zentimeter mir verhaltener Kraft zuschlug.
Dieses Denken für die Herde, die große Ruhe und Souveränität in den stressigsten Situationen, eine verrückte und aufgeputschte Herde unsichtbar zur Ruhe bringen und aus der Gefahr führen zu können, das ist es was eine Leitstute ausmacht.
Für uns Menschen sind sie im Umgang einfach nur ein Schatz. Lina hat ein Wahnsinnstemperament, manchmal kurz vor der Explosion, aber ich habe bei ihr nicht nur einmal erlebt, dass es wenn es wirklich gefährlich wurde war als würde ein Schalter umgelegt und sie war die absolute Ruhe, das ist das Erbe der Leitstute.
Leider erleben wir das durch unsere Art der Pferdehaltung immer weniger, denn die Fohlen müssen dieses Verhalten bei den Müttern abgucken und bei uns brauchen Pferde dieses Verhalten nicht mehr zum Überleben.[/b] |
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HannoPilartz Erfahrener Benutzer
Alter: 69 Geschlecht: Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 1201
Wohnort: Honerath/Adenau Entfernung: 0 km
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Verfasst am: 17.05.2010, 09:56 Titel: Manchmal ist die "Leit-Stute" ein Kerl.... |
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Bei den "Qualitäten", die eine Führungspersönlichkeit unter Equiden braucht, ist das Geschlecht zumindest dann eher zweitrangig, wenn es unnatürlicherweise auch Eunuchen gibt....
Sicher, in der Natur sind es immer weibliche Tiere, die führen. Und Wallache gibt es halt nicht...
Bei uns starb die Leitstute im April 2000 hoch betagt mit fast 35 Jahren, eine Quarter-Stute, die als eine der allerersten 1970 nach Deutschland importiert wurde..
Danach haben wir nie wieder eine Stute in der Herde gehabt, die über ausreichend Führungspersönlichkeit verfügte.
Die "Führung" übernahm von der Quarterstute ihr Sohn, und als der im Januar 2005 leider schon mit knapp 30 Jahren starb, mein Quarter-Wallach Joey, der als Sohn der Leitstute der "broodmare band" auf der Jameson Lake Ranch in der Wildnis der Grand Coulee Region des U.S.-Bundesstaates Washington geboren wurde.
Am letzten Freitag führte er unter meinem Hintern zwei langohrige Stuten und drei andere Kerle (Quarter-Wallach, Quarab und ein recht mächtiger Friese von über 750 kg) etliche km über die "Camping-Plätze" des 24-Stunden-Rennens an der Nordschleife des Nürburgrings.
War wie ein Ritt durch die Unterwelt, massenweise grölende Betrunkene, Matsch, tausende Feuer und tuckernde Stromgeneratoren, brüllend laute Musik, Blinklichter, flatternde Fahnen...
... und kein Tier hat Joeys Beispiel folgend auch nur mit dem Ohr gezuckt.
Nur eine ihr Muli führende Reiterin rastete verbal etwas aus als ein Betrunkener versuchte, nach der Muli-Stute zu treten, ihre Schimpfkanonade endete etwa mit ".... Du asoziales Stück Sch...." (Wie hieß es doch im alten Westen? "Über mich kannst Du sagen, was Du willst, aber rede nie schlecht über mein Pferd....").
Die meiner Auffassung nach schönsten Ausführungen über das unter Equiden übliche Prinzip des erwählten Führers ("Chosen Leaders") beschreibt Mark Rashid in seinen Büchern.
Wobei sein "role model" ebenfalls ein Kerl, sein langjähriges Arbeitspferd Buck, war....
Auch Rashid räumt ein, dass in der Natur die Führung immer einer Stute obliegt.... _________________ Trouble rides a fast horse; Forgiveness rides a mule |
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Beate Betreiberin des Forums
Anmeldungsdatum: 26.02.2004 Beiträge: 4375
Wohnort: Raum Heidelberg Entfernung: 0 km
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Verfasst am: 20.05.2010, 09:47 Titel: |
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Hi,
auch von mir ein dankeschön an Marion für ihren ausführlichen Beitrag.
Ich möchte zu dem Leitstuten-Thema einen Beitrag aus meinem Tagebuch hier reinkopieren, den ich im Januar dort geschrieben hatte, und der genau auf diese Problematik eingeht:
Ansonsten spielt sich gerade in der Herde eine Sache ab, die mir etwas Bauchweh macht. Asra, meine alte Hafiline, war ja die ganzen Jahre die unangefochtene Anführerin der kleinen Herde. Sie ist/war immer eine sehr souveräne und faire Chefin. Z.B. ist sie die Einzige, bei der sich Jeanny getraut, mitzufressen. Als Asra 8 Jahre war, kam Ronja als Absetzerfohlen dazu. Ronja hat sich total Asra angeschlossen und wurde auch intensiv von ihr "erzogen" . Im Laufe der Jahre (Ronja wird jetzt 15) hat sich Ronja als "Giftspritze" entwickelt, die sich gnadenlos gegen die Anderen (bisher ausser bei Asra) durchsetzt. Nun ist die Sache leider am Kippen. Seit Sommer (ich vermute, dass es mit dem Auszug vom männlichen Leittier Barney zusammenhängt) gibt es immer wieder ernsthafte Prügeleien zwischen den beiden Stuten. Ein paar mal konnte ich diese Händeleien von Anfang an beobachten. Es war eigentlich immer so, dass Asra versuchte, Ronja mit einem kleinen "Wink" (z.B. einem Blick) irgendwas zu "sagen"; anstatt zu gehorchen, setzte Ronja dagegen. Ende vom Lied ist jedesmal, dass die Beiden brüllend und keilend "Arsch an Arsch" stehen. Gottseidank ist noch nichts wirklich Schlimmes dabei passiert; lediglich ein paar kleinere Wunden musste ich bisher bei Asra versorgen. Es ist mir echt ein Rätsel, und nie hätte ich gedacht, dass es ausgerechnet zwischen diesen Beiden so kommen würde. Andererseits stehen sie dann kurze Zeit später wieder da und machen Mähnenkraulen . Asra tut mir leid, denn sie war immer so fair. Und wenn Ronja komplett das Regiment übernimmt - Hilfe! Nun handhabe ich es so, dass Ronja über Nacht separiert wird, damit wenigstens dann nichts passiert, wenn ja die längste Zeit keine menschliche Kontrolle im Stall erfolgt. Aber die Lösung ist alles andere als gut, aber ich weiss keine bessere. In irgendeinem Thema schrieb Hanno vor Kurzem, dass wohl an der Herdenstruktur etwas nicht stimmt, wenn ein Tier zu seinem eigenen Schutz - oder dem der Anderen - separiert werden muss. Das stimmt sicherlich - aber was tun in so einer Situation?
Seit diesem Eintrag sind ein paar Monate ins Land gegangen, und sicher durch das angenehmere Wetter und das grosszügigere Platzangebot in den wärmeren Monaten, hat sich die Lage etwas entspannt. Die letzten Prügeleien sind schon lange her, aber es war nun das erste mal, dass die beiden Hafis diesen Fellwechsel keine intensiven Mähnenkraulereien gemacht haben. Sonst standen sie immer wenn das Fell juckte beisammen und haben sich bearbeitet. Diesmal gar nicht. Es ist also irgend etwas zwischen ihnen kaputt gegangen. Das finde ich sehr schade, kann es aber leider nicht ändern. Ich bin gespannt, wie sich das Verhältnis zwischen den Beiden weiter ent-wickelt.
Grüssle
Beate _________________ Schwimm' gegen den Strom; denn nur an der Quelle kannst Du den Lauf des Flusses verändern! |
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